Farbe und Form im denkbaren Kosmos – oder:
Aufforderung zum Gespräch
Das malerische Werk von Yuliia Koval
In ihren oft großflächigen Wandarbeiten lässt Yuliia Koval einen Raum entstehen, der zugleich eine mit den Augen begehbare Landschaft und ein denkbarer Kosmos ist. Der Einstieg in diese vielschichtige Welt gelingt dem Betrachter zunächst mühelos über die Farbe, die in der zweiten, flächigen Dimension eine beinahe überwältigende und dennoch selbstverständliche und geradezu lässige Präsenz entwickelt. Dann beginnt die visuelle Reise in einem Netzwerk aus Form und Farbe. Der Betrachter sucht nach Orientierung, spürt, wie alles mit allem zusammenhängt und aufeinander reagiert. Schon ist er mittendrin in einer abstrakten Welt, in der keine narrativen Elemente offensichtliche Geschichten erzählen oder Bedeutungen vorgeben und in der doch so vieles möglich wird.
Ohne Form kann Farbe nicht sein. In Yuliia Kovals Arbeiten hat die Farbe eine Gestalt angenommen, die ihr die Freiheit lässt, nichts weiter als Farbe sein zu dürfen. Die Bedeutung liegt allein im individuellen Blick des Betrachters, der gekommen ist, um seine eigene Geschichte, seine eigenen Assoziationen in den Raum der Möglichkeiten einzugeben. Er streift durch eine Gedankenlandschaft, in der er Gegensätze und Anziehung findet, verdichtete Orte, in denen sich Ähnliches tummelt und kleinteilig aufeinander Bezug nimmt, sich gegenseitig verdeckt und überlagert. Daneben gibt es große Flächen, die in einer dominanten Eindimensionalität ihre Bedeutung einfordern. Leerräume tauchen auf, die die Wand, ihre Struktur und originäre Farbe auf dem Boden der Tatsachen für sich reklamieren. Zugleich wird diese Realität aufgenommen, in Frage gestellt und mitgerissen in die Welt der Möglichkeiten, der sinnlichen Erfahrungen.
Oft arbeitet Yuliia Koval mit der Farbrolle direkt auf dem wie auch immer strukturierten Untergrund. Das ermöglicht einen nuancierten Farbauftrag, der aber weitestgehend ohne den gestischen Duktus der klassischen Malerei auskommt. Die Größe der Rollen, die Farbmenge und der Druck, mit dem sie aufgetragen wird, geben weite Spielräume. An einzelnen Stellen verläuft die Farbe im kleinen Rinnsal und lässt so dem kontrollierten Zufall freie Bahn. An anderer Stelle wird die Farbe hauchdünn aufgetragen, eher wie ein Schleier, der über etwas liegt. Auch die Farben selbst offenbaren eine frische Entdeckerlust, die wenig Zwänge und viel Einfühlungsvermögen voraussetzen. Ein kräftiges Pink versteht sich vielleicht wie ein mutiges Statement, daneben leuchten Neonfarben oder setzen sich Grau- und Brauntöne zurückhaltend, aber elegant in Szene. Mit derselben Souveränität ist die Künstlerin in der Lage, die gesamte Palette der Farben auf einmal auszuspielen, oder auch, in der Beschränkung auf wenige Töne und Schattierungen, ein atmosphärisches Thema zu wählen und konsequent zu verfolgen.
Inspiriert werde sie gleichermaßen durch die Oberflächenstruktur des Bildträgers wie durch die Umgebung des Raumes selbst, sagt die Künstlerin. Es sind diese äußeren Gegebenheiten, die sie als Auftakt für ein Gespräch versteht. In den daraus sich entspinnenden Dialog wird der Betrachter einbezogen. Nicht als Konsument einer fertig gelieferten Erzählung, sondern als Erzähler selbst, der den Fortgang der Geschichte in den eigenen Händen hält. „Ich möchte Personen berühren“, sagt Yuliia Koval und spielt dabei auf die Kraft der Farbe als Kommunikationsmittel der nonverbalen Verständigung an. Hier können auch kleine Gesten große Wirkung haben oder gar leuchtende Farbflächen in den Hintergrund treten lassen.
Yuliia Koval, 1979 in der Ukraine geboren, ist in Kiew aufgewachsen und studierte dort an der Nationalen Technischen Universität in der Abteilung für Grafik und Buchkunst. Nach dieser klassischen Akademieausbildung und einigen Jahren, in denen sie als freiberufliche Grafikerin und Illustratorin tätig war, kam sie 2002 nach Deutschland, um an der Kunstakademie München Malerei zu studieren. In ihren Werken und in ihrer Ausstellungstätigkeit zeigt sich die Künstlerin äußerst vielseitig. Von kleinen Papierarbeiten, die sie mit unterschiedlichen Farben und Materialien behandelt, über malerische Interventionen im öffentlichen Raum bis hin zu großflächigen Wandarbeiten sieht Yuliia Koval jede Art von Bildträger und räumlicher Situation als Herausforderung, sich auf Neues und Unbekanntes malerisch einzustellen. Den direkten künstlerischen Dialog nimmt sie gelegentlich auch mit anderen Künstlern im nonverbalen, aber dennoch wörtlich Sinne auf, wenn gemeinschaftliche Werke entstehen.
Yuliia Koval ist eine Künstlerin, die unmittelbar auf die Beschaffenheit der Umgebung reagiert und diese Gegenwart mit großer Souveränität in ihre Malerei einbezieht. Es entspricht ihrer künstlerischen Persönlichkeit, dass diese Umformung nie gegen, sondern immer mit dem bereits Vorhandenen geschieht. Es ist ein, wenn man so will, bejahender Blick auf die Realität, der zum Ausgangspunkt für eine selbstbewusste künstlerische Aussage genommen wird. Yuliia Kovals Arbeiten sind immer kraftvoll, einfühlsam und voller Poesie. Mit sicherem Gespür für Farbwirkungen, Materialien und Texturen erschafft sie komplexe Räume, die dem Betrachter letztlich Zugang zu seiner eigenen Welt ermöglichen.