von Gudrun von Schoenebeck M.A.
Kunsthistorikerin, Freie Journalistin
März 2014

Farbe und Form im denkbaren Kosmos – oder:
Aufforderung zum Gespräch
Das malerische Werk von Yuliia Koval

In ihren oft großflächigen Wandarbeiten lässt Yuliia Koval einen Raum entstehen, der zugleich eine mit den Augen begehbare Landschaft und ein denkbarer Kosmos ist. Der Einstieg in diese vielschichtige Welt gelingt dem Betrachter zunächst mühelos über die Farbe, die in der zweiten, flächigen Dimension eine beinahe überwältigende und dennoch selbstverständliche und geradezu lässige Präsenz entwickelt. Dann beginnt die visuelle Reise in einem Netzwerk aus Form und Farbe. Der Betrachter sucht nach Orientierung, spürt, wie alles mit allem zusammenhängt und aufeinander reagiert. Schon ist er mittendrin in einer abstrakten Welt, in der keine narrativen Elemente offensichtliche Geschichten erzählen oder Bedeutungen vorgeben und in der doch so vieles möglich wird.

Ohne Form kann Farbe nicht sein. In Yuliia Kovals Arbeiten hat die Farbe eine Gestalt angenommen, die ihr die Freiheit lässt, nichts weiter als Farbe sein zu dürfen. Die Bedeutung liegt allein im individuellen Blick des Betrachters, der gekommen ist, um seine eigene Geschichte, seine eigenen Assoziationen in den Raum der Möglichkeiten einzugeben. Er streift durch eine Gedankenlandschaft, in der er Gegensätze und Anziehung findet, verdichtete Orte, in denen sich Ähnliches tummelt und kleinteilig aufeinander Bezug nimmt, sich gegenseitig verdeckt und überlagert. Daneben gibt es große Flächen, die in einer dominanten Eindimensionalität ihre Bedeutung einfordern. Leerräume tauchen auf, die die Wand, ihre Struktur und originäre Farbe auf dem Boden der Tatsachen für sich reklamieren. Zugleich wird diese Realität aufgenommen, in Frage gestellt und mitgerissen in die Welt der Möglichkeiten, der sinnlichen Erfahrungen.

Oft arbeitet Yuliia Koval mit der Farbrolle direkt auf dem wie auch immer strukturierten Untergrund. Das ermöglicht einen nuancierten Farbauftrag, der aber weitestgehend ohne den gestischen Duktus der klassischen Malerei auskommt. Die Größe der Rollen, die Farbmenge und der Druck, mit dem sie aufgetragen wird, geben weite Spielräume. An einzelnen Stellen verläuft die Farbe im kleinen Rinnsal und lässt so dem kontrollierten Zufall freie Bahn. An anderer Stelle wird die Farbe hauchdünn aufgetragen, eher wie ein Schleier, der über etwas liegt. Auch die Farben selbst offenbaren eine frische Entdeckerlust, die wenig Zwänge und viel Einfühlungsvermögen voraussetzen. Ein kräftiges Pink versteht sich vielleicht wie ein mutiges Statement, daneben leuchten Neonfarben oder setzen sich Grau- und Brauntöne zurückhaltend, aber elegant in Szene. Mit derselben Souveränität ist die Künstlerin in der Lage, die gesamte Palette der Farben auf einmal auszuspielen, oder auch, in der Beschränkung auf wenige Töne und Schattierungen, ein atmosphärisches Thema zu wählen und konsequent zu verfolgen.

Inspiriert werde sie gleichermaßen durch die Oberflächenstruktur des Bildträgers wie durch die Umgebung des Raumes selbst, sagt die Künstlerin. Es sind diese äußeren Gegebenheiten, die sie als Auftakt für ein Gespräch versteht. In den daraus sich entspinnenden Dialog wird der Betrachter einbezogen. Nicht als Konsument einer fertig gelieferten Erzählung, sondern als Erzähler selbst, der den Fortgang der Geschichte in den eigenen Händen hält. „Ich möchte Personen berühren“, sagt Yuliia Koval und spielt dabei auf die Kraft der Farbe als Kommunikationsmittel der nonverbalen Verständigung an. Hier können auch kleine Gesten große Wirkung haben oder gar leuchtende Farbflächen in den Hintergrund treten lassen.

Yuliia Koval, 1979 in der Ukraine geboren, ist in Kiew aufgewachsen und studierte dort an der Nationalen Technischen Universität in der Abteilung für Grafik und Buchkunst. Nach dieser klassischen Akademieausbildung und einigen Jahren, in denen sie als freiberufliche Grafikerin und Illustratorin tätig war, kam sie 2002 nach Deutschland, um an der Kunstakademie München Malerei zu studieren. In ihren Werken und in ihrer Ausstellungstätigkeit zeigt sich die Künstlerin äußerst vielseitig. Von kleinen Papierarbeiten, die sie mit unterschiedlichen Farben und Materialien behandelt, über malerische Interventionen im öffentlichen Raum bis hin zu großflächigen Wandarbeiten sieht Yuliia Koval jede Art von Bildträger und räumlicher Situation als Herausforderung, sich auf Neues und Unbekanntes malerisch einzustellen. Den direkten künstlerischen Dialog nimmt sie gelegentlich auch mit anderen Künstlern im nonverbalen, aber dennoch wörtlich Sinne auf, wenn gemeinschaftliche Werke entstehen.

Yuliia Koval ist eine Künstlerin, die unmittelbar auf die Beschaffenheit der Umgebung reagiert und diese Gegenwart mit großer Souveränität in ihre Malerei einbezieht. Es entspricht ihrer künstlerischen Persönlichkeit, dass diese Umformung nie gegen, sondern immer mit dem bereits Vorhandenen geschieht. Es ist ein, wenn man so will, bejahender Blick auf die Realität, der zum Ausgangspunkt für eine selbstbewusste künstlerische Aussage genommen wird. Yuliia Kovals Arbeiten sind immer kraftvoll, einfühlsam und voller Poesie. Mit sicherem Gespür für Farbwirkungen, Materialien und Texturen erschafft sie komplexe Räume, die dem Betrachter letztlich Zugang zu seiner eigenen Welt ermöglichen.



von Elisabeth Wallner
13.09.2016

Einführungsrede, Eröffnung Pinky Break

Als ich Yuliia Koval 2011 in der Werkstatt von planparallel zum ersten Mal traf, arbeitete sie gerade mit einem Künstlerkollegen an einer gemeinsamen Lithografie. Ja, sie haben richtig gehört, an einer gemeinsamen. Das war es auch was mich am meisten beeindruckte. Zwei Künstler deren Stile nicht unterschiedlicher sein könnten, antworteten sich, reagierten aufeinander auf dem Stein, sie ließen ihr eigenes Tun von einem Mitspieler beeinflussen, statt sich starr an die eigenen Idee im Kopf zu klammern. Sie machten das nicht zum ersten Mal, das Ergebnis war gut und ich war erstaunt, dass zwei Künstler (in meinen Augen Individualisten per Definition) sich auf diesen kreativen Dialog einließen.

Später wurde mir angesichts der Wandarbeiten von Yuliia Koval bewusst, dass genau dieser Austausch mit der Umgebung, sei es nun Mensch oder Raum oder beides, ihr künstlerisches Konzept ist. Das Arbeiten im öffentlichen Raum ohne Rückzugmöglichkeit ohne Schutz, ist meiner Meinung nach eine große Herausforderung, die nur jemand annehmen kann, der den Weg der Individualität bereits gegangen ist, der sich seiner Kunst und seines Könnens sicher ist und bereit ist diese Arbeit auf räumliche, emotionale und intellektuelle Einflüsse von Außen reagieren zu lassen. Die Arbeiten im Raum sind vom ersten Moment „sichtbar“ und stellen sich der Kritik. Von Anfang an tritt Yuliia in den Dialog mit dem Betrachter, dem Passanten.

Während in ihren kleinformatigen Werken die Formen von entscheidender Bedeutung sind, tritt die Bedeutung der Form bei den Raumbildnern in den Hintergrund, hier bestimmt die Farbe die Wirkung. Die Form ist zum Teil vorgegeben etwa durch die Beschaffenheit des Raumes oder durch die Art des Untergrundes, durch den Lichteinfall und so weiter... Yuliia versteht es auf beeindruckende Weise diese Gegebenheiten anzunehmen und darauf zu antworten. Ich habe schon viele Räume gesehen, die von Yuliia Koval „neu“ geschaffen wurden, dabei habe ich immer bewundert, wie sehr sie den Charakter eines Raumes versteht und in einen künstlerischen Austausch mit ihm tritt.

Wendet man sich den Papierarbeiten zu, entdeckt man hingegen eine beinahe unerschöpfliche Formenwelt. Auf kleinem Format öffnet sich eine enorme Vielfalt an organisch anmutenden Formen. Eine Form der Abstraktion, die ich selbst nicht als Abstraktion im eigentlichen Sinne wahrnehme. Vielmehr ist es so, als würden Yuliias Fantasie ständig neue Figuren entspringen, keine krabbelnden Einzeller, sondern Fabelwesen, eine geheimnisvolle Pflanzenwelt, magische Geschöpfe. Sie findet dabei derart viele Arten, Konturen und Gestalten, dass es einfach große Freude macht in ihre Bildwelt einzutauchen und sich auf eine Reise in eine fantastische Welt zu begeben. Ihre Bilder sind für mich keine abstrahierte Deutung unserer Welt, sondern eine andere Wirklichkeit.

Auch wenn ich den Begriff einer „weiblichen Kunst“ nicht mag, möchte ich auf eine Künstlerin verweisen, die für mich eine Wegbereiterin dieser Form der Abstraktion ist, ja vielleicht einer weiblicheren Form: Helen Frankenthaler.

Sie modifizierte Pollocks „Dripping“, indem sie die Farbe noch viel mehr als er sich selbst überließ. So entstanden Farbcluster und -lichtungen, die lyrisch und furios zugleich sind, ohne dass darin ein Widerspruch lag – und das schon bevor die Lyrische Abstraktion in Amerika Karriere machte. Sie befreite die Farbe von der Bevormundung des Gestischen und ihren Arbeiten liegt der Eindruck einer Unvollendetheit, die fantastische (Farb-) Räume eröffnet.


Zitat:
„Helen Frankenthalers Gemälde wie auch ihre grafischen Arbeiten sind von einem gewissen Chic, keinesfalls temperamentlos, aber nicht aufsässig oder fordernd. Sie verfolgen kein Serienmodell, sind unangestrengt. Keiner der malenden Männer ihrer Ära hat eine solche Leichtigkeit erzielt. Helen Frankenthalers Kunst ist nicht die Negierung von Form, sondern die Formung im Fließen.“ Liebe Yuliia, als ich dies las, musste ich unwillkürlich auch an deine Arbeit denken. Ich glaube es gibt weit aus Schlimmeres als mit dieser grandiosen Frau verglichen zu werden. Was ich damit am Wenigsten möchte, ist es dir deine Individualität abzusprechen. Wie der Katalog zeigt, hast du deinen ganz eigenen Weg gefunden und ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg in deinem künstlerischen Schaffen. Herzlichen Glückwunsch zu einem tollen Katalog und einer wunderbare Ausstellung!




von Yuliia Koval und Anna Sagalowskaja
März 2014

Mein künstlerisches Vorhaben:
Die Auseinandersetzung und Konfrontation mit Farbe und Form

In meiner künstlerischen Arbeit geht es mir in erster Linie um die Malerei, den Entstehungsprozess und um die verschiedenen Erfahrungen, die ich in diesem kreativen Prozess sammeln darf. Ich gehe von zwei konträren Ansätzen in Form und Format aus: auf der einen Seite von der Wandmalerei, dem Schaffen auf sehr großformatigen, beinahe überdimensionalen Flächen, und auf der anderen Seite vom starken Rückzug in die intime, fast private Ebene, die in meinen kleinformatigen Papierarbeiten zum Ausdruck kommt. Dadurch entsteht ein starkes Spannungsfeld sowohl für mich als auch für den Betrachter: Die Arbeit an großen Wandflächen ist eine direkte Öffnung zu meiner Außenwelt, ein Rückzug ist mir nicht möglich, aber auch nicht erwünscht. Denn hier findet ein sofortiger Dialog mit meiner unmittelbaren Umgebung, im Speziellen mit Raum und Person, statt. Ich lasse mich gern in diesem Arbeitsprozess von meinem Umfeld beeinflussen, ich stelle mich auf mein Gegenüber ein und verfüge über die geforderte Flexibilität. Der Bildträger inspiriert mich durch seine Oberflächenstruktur, genau wie meine räumliche Umgebung, mit der ich interagiere und kommuniziere. Dadurch entstehen Landschaften, neue Räume, die zugleich die neu entstandene Oberfläche und Textualität meiner Arbeiten in einen Dialog mit dem Betrachter setzen. Mein Werkzeug ist ein Paradoxon des gelenkten Zufalls. Die als materieller Werkstoff verwendete Farbe wird freigelassen und wieder eingefangen. In diesem Kampf des Loslassens und gleichzeitigen Lenkens arbeite ich frei mit unterschiedlichen, der Situation angepassten Vorgehensweisen.

Im Kontrast dazu stehen meine kleinformatigen Papierarbeiten. Hier will ich meine privaten Geschichten walten lassen und mich eher ins Intime und Persönliche zurückziehen. Dabei versuche ich meine visuelle Sprache weiterzuentwickeln und den Betrachter mitzunehmen, herauszufordern und zu erreichen. Die äußeren Reize und Faktoren haben hierauf einen weniger starken Einfluss als bei der Wandmalerei. Mich interessiert insbesondere der Einsatz verschiedener Maltechniken und die Herausforderung im Umgang mit unterschiedlichsten Materialien.

Dieses Spannungsfeld, das aus den beschriebenen Ansätzen erwächst – einerseits aus dem Öffnen nach außen, andererseits aus dem Rückzug ins Persönliche –, sind zwei unterschiedliche Wege, die ich in meiner künstlerischen Arbeit und Auseinandersetzung beschreite und die in meinem Werk zu einer Zusammenführung finden sollen.




Laura Sánchez Serrano,
Kunstistorikerin, freie Kuratorin

Yuliia Koval
Emotionale Dimension

„Da die Zahl der Farben und der Formen unendlich ist, so sind auch die Kombinationen unendlich und zur selben Zeit die Wirkungen. Dieses Material ist unerschöpflich.“ - Wassily Kandinsky.

Die Arbeiten von Yuliia Koval sind Beispiele für außergewöhnliche Abstraktion. Ihre malerischen Kompositionen appellieren an eine Realität, die über der alltäglich wahrnehmbaren liegt, und uns in ein pseudo-geometrisch und organisches Universum von Formen eintauchen lässt. Das Material, durch die Hand der Künstlerin geführt, befreit sich und schafft eine eigenständige, fast musische, Bildsprache, die auf chromatische Formen und Strukturen reduziert ist. Die streng ausgewählte Farbe entfaltet sich im Raum, in dem sie Regeln und intuitiven Rhythmen folgt, welche die Komposition ins Gleichgewicht bringt und harmonisiert.

In ihren Wandmalereien spielt der architektonische Kontext eine signifikante Rolle. Die energievollen und auffallenden Farben durchziehen die Oberfläche, heben diese hervor, verändern sie und versetzen sie in ein neues Dasein. Die Formen- und Farbwelt von Yuliia Koval entfaltet sich in der direkten Kommunikation zwischen dem Raum und dem Betrachter – die vormals weißen Wände, verwandeln sich in Eingangspforten zu einer neuen emotionalen und abstrakten Realität.

Die kleinformatigen Arbeiten der Künstlerin erlauben es ihr eine intime und experimentelle Bildsprache zu entwickeln. Auf der einen Seite erweitert sie die Farbpalette und fügt dieser dunkle Töne hinzu. Auf der anderen, erreichen ihre Kompositionen eine körperliche Dimension. Die Künstlerin benutzt eine Vielzahl an Trägermaterialien unter Berücksichtigung ihrer Textur und experimentiert mit unterschiedlichen Materialien, dabei lässt sie den Zufall gewähren, gelegentlich die rationale Kontrolle des kreativen Prozesses zu übernehmen.

Farbe und Form, Kontrolle und Zufall. Die abstrakten Landschaften von Yuliia Koval versetzen uns in ein faszinierendes Universum aus unbeschreiblichen Emotionen und seelischen Vibrationen, die uns für einen Augenblick von unserer eigenen körperlichen Realität entfernen, um uns dem Zustand von purer Emotion auszusetzen.